Havelis und der Monat der Hochzeiten
- Holger Schweitzberger
- 4. März 2024
- 6 Min. Lesezeit

25. Februar: In einer Nische des Haupthofes unseres Havelis, indem wir diese Nacht verbrachten, ist für uns der Tisch zum Frühstück gedeckt.
Wir sind die einzigen Gäste und werden deshalb bevorzugt behandelt.
Gestern Abend mussten wir schon unsere Essenswünsche mitteilen, so dass es nun sofort losgehen kann.
Zum ersten Mal gibt es frisch gepressten Orangensaft, herrlich erfrischend und fruchtig und Tee.
Ansonsten ist das Essen europäisch, Toast und Eiervariationen, Marmelade und Butter. Für meinen Magen sowieso die einzige Alternative.

Wir unterhalten uns nebenbei mit dem Manager des Hotels, er spricht ziemlich gut englisch, und wir erfahren wieder sehr viel über Land und Leute. Obwohl er mir seinen Namen viermal mitgeteilt hat, habe ich ihn trotzdem wieder vergessen. Es hört sich aber immer wie Rajiv an.
Ich überlege ob ich in meinem Bericht nicht alle Männer so nennen sollte, die ich hier erwähne.
Gegen neun checken wir aus, allerdings ist nur Barzahlung möglich. Zum Glück haben wir noch genug davon.
Während unsere Koffer ins Auto geladen werden, machen wir uns noch auf eine einstündige Exkursion durch Mandawa.
Gestern Abend hatten wir einen Guide angefragt, besser er hat sich aufgedrängt, und für 5,50 € lassen wir uns nun die Geschichte der Havelis von Mandawa erläutern.
Er heißt Rajiv, kommt aus Mandawa und ist, im Gegensatz zu vielen anderen Indern, sehr gut zu verstehen.
Unter Havelis sind erst einmal bemalte oder verzierte Häuser zu verstehen.
Die Geschichte der Havelis von Mandawa reicht zurück in die Blütezeit der Region, als sie ein wichtiges Handelszentrum auf der Karawanenroute zwischen China und dem Nahen Osten war. Wohlhabende Kaufleute und Händler, die in diesem Handel tätig waren, ließen prächtige Residenzen errichten, um ihren Reichtum und sozialen Status zur Schau zu stellen.
Sie dienten auch als Übernachtungs- und Arbeitsstätten für die Reisenden auf der Seidenstrasse. Dabei gibt es immer einen Eingang für die Tiere und einen für Menschen.
Diese Havelis wurden von lokalen Handwerkern und Künstlern aufwendig verziert, wobei Wandmalereien, Stuckarbeiten, Schnitzereien und Verzierungen aus Spiegeln und Glas eine wichtige Rolle spielten. Die Motive dieser Verzierungen umfassen religiöse Szenen, mythologische Geschichten, königliche Jagdszenen, botanische Muster und vieles mehr.
Havelis Mandawa
Nachdem die Engländer Indien urbar machten und Gleise durch das Land bauten,
verfielen viele dieser Havelis aufgrund von Vernachlässigung. Sie wurden einfach nicht mehr gebraucht.
In den letzten Jahrzehnten haben jedoch Initiativen zur Erhaltung und Restaurierung dazu beigetragen, einen Teil dieses kulturellen Erbes zu bewahren. Heute sind die Havelis von Mandawa eine wichtige Touristenattraktion, die Besucher aus der ganzen Welt anzieht, um die beeindruckende Architektur und Kunstfertigkeit dieser historischen Herrenhäuser zu bewundern.
Die Malereien an den Wänden sind wunderschön, oft sind die drei symbolträchtigsten Tiere Rajasthans abgebildet: Elefant, Pferd und Kamel.
In ein Haveli, heute ein Museum, treten wir ein und bewundern die Schönheit des Inneren. Wir fühlen uns in der Zeit 150 Jahre zurück versetzt und können uns etwas vorstellen wie es damals hier abgelaufen ist.
Die Decken sind mit Holz ornamiert, in einem Raum sind die Ikonen einiger Maharadjas mit Gold überzogen.
Mandawa hat 126 Havelis, die meisten allerdings in einem sehr schlechten Zustand. Bei einigen sind zwar gerade Renovierungsarbeiten im Gange, bei den meisten werden die Gebäude ihrem Zerfall preisgegeben.
Heute ist Sonntag, deshalb haben die Kinder schulfrei und rufen uns, wann immer sie uns sehen ein fröhliches "Hello" entgegen. Sie rennen um uns herum und freuen sich sicher, etwas Abwechslung zu erleben.
Wir kommen an einen Ort an dem Stoffe gefärbt werden. Alles ganz traditionell per Hand in unzähligen Bottichen mir Farbe. Diesmal wird eine Farbe verwendet die ein tiefes dunkelrot ergibt, die Reste der Tinktur werden, nicht wie in Indien typisch einfach ausgekippt, nein hier existiert ein kleiner Kanal, der die Abwässer 30 Meter später in den Boden versickern lässt.
Wir erfahren auch, dass die so stoisch wirkenden Rinder auch sehr aggressiv sein könne, Rajiv zeigt uns eine Narbe am Bauch, die belegt, dass er von einem Horn attackiert wurde.
Kurz nach zehn Uhr machen wir uns auf den Weg zu unserem neuen Ziel Bikaner. Das liegt ungefähr vier-fünf Stunden entfernt und wird uns von Rajiv als "große Stadt" angekündigt.
Auf der Fahrt dorthin werden wir wieder mit allen Facetten Indiens konfrontiert: Armut, Schmutz, Schönheit, Reichtum und den lachenden, freundlichen Menschen. Eine Spezies taucht allerdings in der jetzigen Region immer öfter auf: Kamele. Und zwar meist als Lastentiere.
In Bikaner ist Markttag, innerhalb der Stadt geht nichts mehr. Sollte man denken, doch so etwas lassen Inder nicht gelten, natürlich geht immer noch etwas und so fahren wir quasi durch die Menschenmengen mit ordentlichen Hupgeräuschen hindurch. Bis wir auf einmal vor einer Festung stehen und auf den Parkplatz fahren.
Die Tür geht auf, ein Mann tritt herein und meint, dass er der neue Fahrer bis zum Ende unserer Tour ist. Aha, ich texte schnell zu Ashok und siehe da, es stimmt.
Indische, transparente Kommunikation.
Wir parken indes und besuchen erst einmal dieses unglaublich faszinierende und schöne Bauwerk vor uns. Das Junagarh Fort.
Dessen Geschichte liest sich wie folgt:
Das Fort wurde im Jahr 1589 von Raja Rai Singh, einem General im Dienste des Mogulreichs unter dem Herrscher Akbar dem Großen, errichtet. Rai Singh war ein erfolgreicher Militärkommandant und erhielt von Akbar das Lehen von Bikaner. Er beauftragte den Bau des Forts, um die Stadt vor feindlichen Angriffen zu schützen und als königliche Residenz zu dienen.
Die Lage des Forts wurde sorgfältig gewählt, um strategische Vorteile zu bieten und eine gute Verteidigung zu ermöglichen. Es wurde auf einem sandigen Hügel gebaut, der natürliche Verteidigungslinien bot. Die Architektur des Forts ist eine eindrucksvolle Mischung aus hinduistischen, mogulischen und europäischen Baustilen, die die kulturelle Vielfalt und den Einfluss der verschiedenen Epochen widerspiegeln.
Im Laufe der Zeit wurde das Junagarh Fort mehrmals erweitert und renoviert, insbesondere während der Herrschaft von Raja Rai Singhs Nachkommen. Die verschiedenen Herrscher von Bikaner trugen zu seiner Pracht und seinem Umfang bei, indem sie Paläste, Tempel, Pavillons und andere Strukturen innerhalb der Festungsmauern errichteten.
Während seiner langen Geschichte widerstand das Fort zahlreichen Belagerungen und Angriffen, was seine Festigkeit und strategische Bedeutung unterstreicht. Es blieb bis zur Unabhängigkeit Indiens im Jahr 1947 unter der Kontrolle der Maharajas von Bikaner.
Die rote Farbe des Forts ist einzigartig, wir bezahlen 4,50€ Eintritt und begeben uns auch Erkundung in diese uns unbekannte Welt.
Junagarh Fort
Unzählige Bilder von den damals Herrschenden und Waffen der damaligen Zeit hängen zuhauf an den Wänden. Jeder Raum oder Bereich besticht durch andere Facetten, einfach überwältigend.
Wir haben natürlich auch etwas zu bieten: Unsere zwei Weißbrote. Die beiden sorgen dafür, dass wir nur im Schritttempo weiter kommen, denn überall stehen ihre Follower und wollen Fotos mit ihnen.
Dann ist immer viel Gekicher und Spaß und es dauert auch eine Weile, ehe jeder Beteiligte einen Schnappschuss hat, mit dem er zufrieden ist.
Knapp 90 Minuten verbringen wir hier, es wird nun auch langsam immer voller. Zeit in unser neues Haveli zu ziehen.
Das befindet sich in der Altstadt und dorthin dürfen nur TukTuks fahren. Rajiv hat schon zwei davon bestellt, wir laden unsere Koffer hinein und ab geht die Lucie.
Beide Fahrer liefern sich ein Rennen und am Schuss gewinnt leider nicht der unsrige.
Der Eingang des Haveli ist verschlossen, von außen sieht alles auch ganz düster aus. Doch dann öffnet uns schlaftrunken doch noch jemand. Geht doch.
Die Treppen sind superschmal und hoch, kaum Platz um selbst hochzusteigen, geschweige denn mit Koffern.
Unser Gegenüber erweckt den Anschein als ob er nicht weiß, dass heute noch Gäste kommen. Ich soll mal meine Buchung zeigen.
Da ist er ja bei mir richtig. Ich erwidere, dass er nur einen kurzen Blick in seine Unterlagen werfen muss, dann wird er wohl alles finden. Ich jedenfalls krame meinen Koffer nicht deswegen um.
Der Blick in unser Superior Room haut uns dann fast von den Socken. Es ist dreckig, das Bett nicht bezogen, die Decken alt und keimig, das Bad quasi nicht vorhanden, nur das Wasser tropft dort auf die Erde.
Bei Jule und Tobi das Gleiche. Wir teilen unserem jungen Freund mit, das wir hier nicht bleiben und wieder gehen. Auf seine Frage nach dem Warum, erläutern wir ihm dies noch einmal nachdrucksvoll.
Plötzlich ist auch der Manager verfügbar und meint, dass er alles reinigt und die Betten neu bezieht. Aber zu spät. Unser neues Hotel haben wir währenddessen schon gebucht.
Wir organisieren uns wieder zwei TukTuks und rufen Ashok an um uns wieder mit unserem Fahrer zu treffen.
Leider erwischen wir nur ein TukTuk, aber für ihn ist es auch kein Problem uns alle vier samt Gepäck zu befördern. In Indien geht alles.
Tobi darf neben im sitzen und wenn wir die Bilder richtig gimpen sieht es später so aus, als würde er selbst fahren.

Zum neuen Hotel können wir mit dem Auto fahren. 100 Meter vor dem Hotel erschallt auf einmal ohrenbetäubender Lärm. Ähnlich der Loveparade, marschieren, tanzen und singen eine Gruppe bunter Menschen hinter einem Lautsprecherwagen hinterher. Gegenüber unsers Hotels stoppen sie und feiern weiter. Dort befindet sich auch ein Hotel und diese Truppe sind Hochzeitsgäste die sich schonmal eingrooven.
Das müssen wir uns natürlich von der Nähe aus ansehen. Ohrenbetäubender Bollywood Rave dröhnt uns entgegen, aber mit soviel Rhythmus der selbst in mir, dem alten Blueser mit Tanzlegastenik, hüpfende Bewegungen erzeugt.
Schnell sind wir willkommen und werden aufgefordert uns einzureihen und mit zu tanzen. Dabei werden wir wie Exoten gefilmt oder fotografiert. Mal sehen was morgen in den Zeitungen oder auf Insta steht.
Die Männer und Frauen sind alle wunderschön angezogen, lange Saris oder Kleider, die Herren traditionelle indische Anzüge, so wie man es aus dem Fernsehen kennt.
Wir werden zur abendlichen Party eingeladen und machen uns dann auf den Weg in unsere neuen Zimmer.
Gut, dass wir hierher wechseln mussten.
Ich brauche jetzt erst einmal eine Pause. Indien schlaucht doch ganz schön. Es ist alles sehr intensiv was wir hier erleben. Dazu permanent laut, chaotisch und für uns noch ohne System. Aber sehr schön.
Am Abend gehen wir noch etwas essen. Ich kann Pizza mit Käse und ohne alles, für Heidi und mich ordern. Wir werden zwar komisch angeschaut (keine Sauce?), aber unser Wunsch wird erfüllt.
Als wir sie dann bekommen sind sie auch so, wie wir sie uns vorstellten. Wunderbar. Eigentlich will ich spaßeshalber fragen, warum wir keine Sauce bekommen haben, lasse es aber. Ich will ja nicht übertreiben.
Und Tobi? Tobi bestellt wieder etwas was "No Spicy" ist. Den Rest kennt man ja.
Draußen laufen derweil die Vorbereitungen zur Hochzeit. Wieder werden wir von allen eingeladen, bei vielen Männern riecht man schon den Alkohol, aber alles ist friedlich, freundlich und lustig.
Während ich mich müde ins Bett lege, beobachten die anderen drei, die ganze Party samt Braut und Hochzeit von unserer Terrasse aus. Wie das war, schreibt vielleicht Tobias?
Hier noch einige Links, deren Inhalt im Verlauf der Reise immer wieder aktualisiert wird, Also immer mal gucken!
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